Die Landtagswahlen sind vorüber, der neue Senat macht sich auf den Weg. Welche Perspektiven bzw. Chancen ergeben sich daraus für den Wohnungsmarkt in Berlin?
Ingeborg Esser_ Ich hoffe, dass die Neubautätigkeit im Miet-wohnungsbau trotz der Kosten- und Zinsentwicklung auf hohem Niveau weiterläuft. Unsere Hauptstadt braucht weiteren bezahlbaren Wohnraum. Ich habe wahrgenommen, dass das Land Berlin neben der klassischen Wohnbauförderung auch noch eine Förderung für das bezahlbare Segment auf den Weg bringen will. Das ist ein sehr guter Impuls.
Alf Aleithe_ Wenn ich die Richtlinien für die aktuelle Regierungspolitik lese, finde ich mich mit meinen Wünschen sehr schnell wieder. Denn es steht darin, dass der Senat auf einen schnellen Neubau setzt. Die neue Regierung will pro Jahr 20.000 neue Wohnungen bauen. Davon sollen 5.000 Sozialwohnungen sein. Gleichzeitig will sie innovativen und klimafreundlichen Neubau fördern. Das sind genau die Punkte, um die es gehen muss, wenn wir die sozialen und klimabezogenen Ziele in Berlin und unserem Land erreichen wollen.
Mit der Rahmenvereinbarung „Serielles und modulares Bauen 1.0“ haben der GdW und berlinovo gezeigt, wie man mithilfe moderner industrieller Bauweise Zeit- und Kostenvorteile erzielen kann…
Ingeborg Esser_ So ist es! Der GdW hat die Rahmenvereinbarung 2018 im Rahmen eines europaweiten Ausschreibungsverfahrens an den Start gebracht. Sie gibt Wohnungsbauunternehmen die Möglichkeit, Wohnungsneubauprojekte quasi „aus dem Katalog“ auszuwählen, um sie dann vor Ort adaptiert umzusetzen. Das war vor fünf Jahren ein großer Schritt und ist inzwischen ein großer Erfolg. Nun wollen wir nach der gerade ausgelaufenen ersten Version noch in diesem Jahr eine neue Rahmenvereinbarung „Serielles und modulares Bauen 2.0“ auflegen.
Alf Aleithe_ Wir haben mit berlinovo über den Abruf der Rahmenver-einbarung bisher sechs Projekte bzw. mehr als 1.800 Wohneinheiten auf den Weg gebracht – mit vielen Vorteilen: Die Ausschreibungen haben sich deutlich verkürzt. Durch die Vorfertigung von Bauteilen im Werk sinkt die Baustellenzeit vor Ort bis auf rund sechs Monate herunter. Für die Nachbarn bedeutet dies: weniger Lärm, weniger Staub, weniger Störungszeit. Zudem ist die maschinelle Vorproduktion eine ausgezeichnete Antwort auf den Fachkräftemangel, mit dem die Branche gerade kämpft. Last but not least unterscheiden sich die fertigen Gebäude weder in der Qualität noch in der Optik von herkömmlich – aber deutlich langsamer – gefertigten Bauten. Im Gegenteil: Durch die wiederholte Bauteilfertigung unter „klinischen Bedingungen“ erhöht sich die Qualität der Produkte sogar noch.
„Das Thema Wohnraum für Fachkräfte betrachte ich als ein Schlüsselthema.“
- Alf Aleithe
Warum ist das Schaffen von ausreichend bezahlbarem Wohnraum gerade für eine Stadt wie Berlin so wichtig?
Ingeborg Esser_ Berlin ist eine deutsche Metropole mit großer Magnetkraft. Die Stadt zieht Jahr für Jahr zahlreiche Fachkräfte aus dem In- und Ausland an – im Moment kommen viele Geflüchtete hinzu. Das verschärft die Wohnraumsituation ungemein. Mit dem Zuzug muss auch das Wohn-raumangebot wachsen. Aber: Neu zu bauen ist in einer Phase stark steigender Baupreise und Zinsen kompliziert. Gegenwärtig wird der Spread zwischen dem öffentlich geförderten und dem frei finanzierten Wohnraum immer größer. Öffentlich geförderter Wohnraum wird in Berlin für 8,00 € bis 8,50 € angeboten. Frei finanzierter Wohnraum müsste auf Basis der heutigen Kostensituation für etwa 18,00 € an den Markt gehen.
Alf Aleithe_ Die Aufgabe, die wir hieraus lesen können, ist, dass eine Stadt wie Berlin alle Bedarfsgruppen im Blick behalten muss. Das Thema Wohnraum für Fachkräfte betrachte ich als ein Schlüsselthema: Wir sind in Deutschland und auch in Berlin zunehmend mit einem Fach-kräftemangel konfrontiert. Wenn gut ausgebildete Menschen zu uns kommen wollen, um eine attraktive Aufgabe anzunehmen, dies aber nicht können, weil sie keine bezahlbare Wohnung finden, dann ist das nicht gut für unsere Zukunft. Gleiches gilt für Studierende: Damit sie das Angebot nutzen können, brauchen sie ein bezahlbares Zuhause.
Wir führen dieses Interview gerade in einem Neubau, in dem schon in wenigen Monaten Studierende wohnen werden. Was ist das Besondere daran?
Alf Aleithe_ Zunächst einmal ist dieses Projekt Rhinstraße in Berlin-Lichtenberg eines, das aus dem GdW-Rahmenvertrag abgerufen wurde. Nach der vollständigen Fertigstellung im ersten Halbjahr 2024 werden hier 800 Studierende in voll ausgestatteten, zum Teil barrierefreien Einzel- und Doppelapartments mit Bad und Pantryküche in einem attraktiven Umfeld leben und lernen können. Gemeinschaftsflächen wie eine Learning Lounge, ein Café und Sportflächen erhöhen die Aufenthaltsqualität und animieren zur Begegnung. Mit einer Kita haben wir eine weitere Nutzungsart eingebunden. Sie stellt auch eine Anbindung zum Quartier her.
Und wie sieht es mit der Klimabilanz aus?
Alf Aleithe_ Wir berücksichtigen bei all unseren Neubauprojekten so viele Umweltaspekte wie möglich. In diesem Fall sind beide Gebäude BEG-Effizienzhaus-40-gefördert. Zwei PV-Anlagen liefern bei maximaler Ausnutzung zusammen 140 Kilowatt Strom. Und es gibt eine Grau-wasseraufbereitung, die für die WC-Spülung genutzt wird. Zusammen mit einer Wärmerückgewinnung via Wärmepumpe können wir 65 % des Gebäudeenergiebedarfs aus erneuerbaren Ressourcen sichern.
Ich sehe die Themen Klima- und Umweltschutz - genauso aber auch die Sicherung des sozialen Gleichgewichts – als gesamtgesellschaftliche Aufgabe, zu der sich alle bekennen und zu der alle beitragen müssen. Wir als berlinovo tun das mit unserer Klimaschutzstrategie und unseren zahlreichen konkreten sozialen Engagements.
Frau Esser, für nachhaltige Gebäude braucht es mehr Innovation und Digitalisierung. Wo stehen wir hier in Deutschland?
Ingeborg Esser_ Auf den Feldern Innovation und Digitalisierung im Bau sehe ich in Deutschland und Europa noch großen Nachholbedarf. Wenn ich in Japan oder in den USA auf die Baustellen schaue, sehe ich nur noch wenige Menschen auf dem Gelände, weil vieles automatisiert und unter Einsatz von Robotik abläuft. Aber serielles und modulares Bauen und Robotik im Neubau können nur der Anfang sein. Wenn wir unsere Klimaziele tatsächlich erreichen wollen, müssen wir auch die bereits bestehenden Gebäude anfassen. Ein Schlüsselwort lautet hier „serielles Sanieren“.
Herr Aleithe, ist das auch ein Thema für berlinovo?
Alf Aleithe_ Mit Letzterem beschäftigen wir uns zurzeit tatsächlich bei unseren kürzlich erworbenen Beständen im Falkenhagener Feld, weil die Vorteile deutlich auf der Hand liegen: Wenn wir die Leitungsführungen direkt in die neuen Fassadenelemente integrieren, haben wir ein klares Bild von den Verortungen, halten den Bestandseingriff gering und belasten den Alltag der Mieter:innen minimal.
In diesem Gespräch begegnen sich Interessen-vertretung und landeseigenes Unternehmertum. Was würden Sie sich wünschen, damit die Immobilienwirtschaft in Deutschland und Berlin ihre Aufgaben erfolgreich erledigen kann?
Ingeborg Esser_ Mein Wunsch richtet sich an die Politik und lässt sich in drei Worte fassen: „Gemeinsam ehrlich rechnen.“ Nach meiner Beobachtung erfolgen wohnungspolitische Entscheidungen noch zu oft auf einer zu vagen wirtschaftlichen Grundlage. Diese braucht es aber, wenn Lösungen in einem Marktumfeld funktionieren sollen. Hier kann es sehr helfen, im Vorfeld von Entscheidungen die Erfahrungen der Wirtschaft einzubeziehen. Wirtschaftliche Zusammenhänge sind kein Zauberwerk. Und wenn eine Rechnung nicht aufgeht, dann lohnt es sich innezuhalten und zusammen so lange an der Gleichung zu arbeiten, bis sie aufgeht.
Alf Aleithe_ Ich würde mir für meinen Planungsalltag mehr Kontinuität im Umfeld wünschen. Zwischen dem ersten Blickkontakt zu einem Grundstück bis hin zur Realisierung eines Projekts können drei bis sieben Jahre liegen. Dazwischen liegen die Investitionsplanung, das B-Planverfahren, die Baugenehmigung, das Vergabeverfahren und zahlreiche andere Stufen, die schnell zu unberechenbaren Variablen werden, wenn sich Förderbedingungen, Richtlinien und Genehmigungsprozesse ändern. Dazu kommt ein Marktumfeld, das sich ebenfalls laufend verändert. Das macht ein Bauprojekt heute extrem komplex und ist nur mit einem leistungsstarken und verlässlichen Team zu bewältigen. Das haben wir zum Glück bei berlinovo.
Frau Esser, Herr Aleithe, vielen Dank für das Interview.
HIER GEHT ES ZUM